Hubertus Erner war 38 Jahre lang selbstständiger Bäckermeister. Mit seiner eigenen Bäckerei im hessischen Witzenhausen versorgte er die Region tagtäglich mit frischen Backwaren. Seit 2014 ist der 63-Jährige nun in Rente. Doch zur Ruhe setzen wollte sich Erner deshalb noch lange nicht. Lieber sucht er sich neue Herausforderungen. Im Sommer 2015 meldete sich der Ruheständler bei der Stiftung Senior-Experten-Service an, einer Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit. Pensionierte Fachleute können sich dort als Experten in unterschiedlichen Bereichen anmelden, um ihr Wissen in ehrenamtlichem Auftrag weiterzugeben.
Als ich den Auftrag erhielt, wusste ich nicht, was mich erwarten wird.
Bereits im Herbst 2015 folgte gleich der erste Auftrag: Dieser führte Herrn Erner ins fast 6.000 km entfernt gelegene Ferghanatal im Osten Usbekistans. Vier Wochen lang lebte er dort bei einer Gastfamilie, die auch gleichzeitig der Auftraggeber war und für ihre kleine Bäckerei für Unterstützung bei der Herstellung von Backwaren angefragt hatte. Erner erhielt eine Dolmetscherin an seine Seite gestellt, die ihm dabei half, sich im fremden Land zumindest schon einmal sprachlich zurechtzufinden. Durch die kyrillische Schrift konnte der Backexperte am Anfang nur schwer die Beschriftungen der vorhandenen Zutaten entziffern, einige fehlten auch ganz. Und so waren in der usbekischen Backstube vor allem Kreativität und Spontanität gefragt.
Als ich den Auftrag erhielt, wusste ich eigentlich nicht, was mich erwarten wird. Der Einsatz in Usbekistan war mein erster offizieller Auslandseinsatz als Bäckermeister. Natürlich habe ich mir während meiner privaten Urlaube immer besonders interessiert die jeweils einheimischen Backwaren angesehen, aber als Bäcker war ich im Ausland bisher noch nicht tätig. Und auch Zentralasien kannte ich bis dahin nur von der Karte.
Ich habe gemerkt, dass die Usbeken sehr interessiert sind an der deutschen Kultur und unseren Essensgewohnheiten. In der Bäckerei, in der ich tätig war, wurde nur eine Art Kastenweißbrot gebacken, das in etwa mit unserem Toastbrot vergleichbar ist. Andere Brotsorten wurden nicht angeboten.
Der Wunsch der Auftragsbäckerei war es, dunkles Baguette und Vollkornvarianten zu backen. Das haben wir anfangs auch getan. Wir konnten dabei natürlich nur regionale Erzeugnisse mit einbeziehen. Da die Backstube unmittelbar an die Verkaufstheke angrenzte, konnten wir allerdings unmittelbar live mit verfolgen, was von den Kunden angenommen wird und was eher nicht. Wir mussten uns dann auf die Backwaren konzentrieren, die vom Kunden gefragt wurden. Das waren allerdings weniger die herzhaften Brotspezialitäten als vielmehr süßes Gebäck, Croissants und Rosinen- oder Quarkbrötchen.
Es war auf jeden Fall eine Herausforderung, die richtigen Zutaten zu finden.
Es war auf jeden Fall eine Herausforderung, die richtigen Zutaten zu finden. Obwohl mir eine Dolmetscherin zur Seite stand, die die kyrillischen Bezeichnungen auf den Packungen übersetzte, waren diese in ihrer Zusammensetzung nicht dieselben, wie ich sie aus Deutschland kannte. Außerdem gab es vor Ort keinerlei Rezeptur oder Anleitungen, an denen ich mich orientieren konnte. Es hieß also ausprobieren.
Die Herstellung von Croissants oder Plundergebäck gestaltete sich dadurch recht schwierig. Auch Puddingpulver gab es nicht, denn in Usbekistan kennt man Pudding einfach nicht. Alternativ griff ich auf Kartoffelstärke zurück, die dort eigentlich zum Wäschewaschen verwendet wird. Schlagsahne konnte ich ebenfalls nicht finden, sodass ich auch hierfür einen Ersatz finden musste, um zum Beispiel eine Torte zu backen. Aber irgendwie haben wir es dann doch immer hinbekommen.
Die Ausstattung in der Backstube war recht simpel. Es gab zwar zwei moderne Backöfen von deutschen Marken, das war schon einmal die halbe Miete, und auch eine Knetmaschine - aber das war es dann auch schon fast. Die Siebmaschine war defekt und nicht mehr funktionsfähig. Insgesamt war also in erster Linie Handarbeit angesagt. Das funktioniert für kleinere Mengen, größere Aufträge, und die gab es während meines Einsatzes auch, kann man mit den Gerätschaften allerdings nicht bedienen. Grundsätzlich musste ich mich die ersten Tage zunächst einmal in die örtlichen Abläufe einfinden. Das war ganz schön anstrengend. Aber nach und nach habe ich mich mit den Gegebenheiten arrangiert und mit dem neuen Team schließlich einen stimmigen Arbeitsrhythmus gefunden.
Man muss dazu sagen, dass die Lebensmittelherstellung in Usbekistan Frauensache ist. Demnach waren meine Kollegen alle weiblich. Dass ich als Mann hinter dem Herd beziehungsweise Ofen stehe, war dort schon ein wenig skurril. Die jungen Frauen fangen oftmals direkt nach dem Schulabschluss in den Backstuben an. Den Job haben sie von Bekannten oder Verwandten vermittelt bekommen. Eine Bäcker-Ausbildung, wie sie bei uns in Deutschland erforderlich ist, gibt es in Usbekistan nicht. Diese Erfahrung hat mir ganz klar die Vorteile unseres dualen Bildungssystems hier in Deutschland aufgezeigt.
Definitiv unterschätzt habe ich das Klima in Usbekistan.
Ich bin in Usbekistan bei einer Gastfamilie untergekommen. Das ist natürlich die beste Art der Unterkunft, wenn man Land und Leute kennenlernen möchte. Ich hatte Glück und durfte dort eine eigene große Wohnung bewohnen, sodass ich mich bei Bedarf auch zurückziehen konnte. Was ich vielleicht ein wenig unterschätzt habe, ist das Klima in Usbekistan. Temperaturen über 30°C, und das im Oktober, waren völlig normal. Da kann sich die Backstube mit dem Ofen schon ganz schön aufheizen. Zum Glück war ich nicht im Sommer da, da klettert das Thermometer auch schon mal auf 50°C. Um 17Uhr war in der Backstube Feierabend und dann begann das Leben in einer reinen Männergesellschaft. Ich wurde überallhin mitgenommen: Ob Friseur, Moschee oder Familienfeste, ich durfte dabei sein und habe die Kultur und den Alltag der Menschen in Usbekistan hautnah mit erleben dürfen. Abends saßen wir oft zusammen und haben Suppe gegessen, die wir zuvor über einem offenen Feuer gekocht hatten. Dann haben wir ganz offen über all das gesprochen, was in der Welt gerade so ansteht. Von der Flüchtlingspolitik über den Arbeitsmarkt bis hin zu Religionsthemen. Diese Abende waren für mich ganz besondere und inspirierende Momente.
Ich stehe noch immer mit der Gastfamilie in Kontakt und versuche sie, soweit es geht, aus der Ferne zu unterstützen. Aktuell ist noch kein Besuch in Deutschland geplant, aber die Möglichkeit besteht natürlich.
Seit meiner Rückkehr aus Usbekistan habe ich schon einige neue Anfragen erhalten. Unter anderem wurde ich für einen Auslandseinsatz in China angefragt. Noch steht kein Einsatz fest, aber das ist nur eine Frage der Zeit.