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Mit Brot gut drauf! Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf im Interview


Gluten und Weizen – besser als ihr Ruf? Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf räumt mit den gängigen Vorurteilen auf.

„Weizen macht dick und Gluten ist schädlich.“ So lautet momentan das Credo einiger Vertreter der „Wellness“- und Gesundheitsbranche. Dass diese Darstellung bei näherer Betrachtung nur wenig Substanz hat, ist unter Medizinern längst bekannt und wurde unlängst in einem aufklärenden Artikel der „Zeit“-Kollegen besprochen.

Weizenprodukte sind wichtige Nährstoff- und Energielieferanten, die, in gesundem Maße verzehrt, ein fester Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung sind. Ernährungswissenschaftler Heiko Zentgraf von der GMF Vereinigung Getreide, Markt- und Ernährungsforschung geht sogar noch weiter: Er sieht Brot als Wellness-Produkt! Wir haben den Trophologen zum Interview getroffen.

Kalorientabelle Weißbrot und Vollkornbrot im Vergleich

Lieber Herr Zentgraf, weshalb sind Getreideprodukte für unser Wohlbefinden wichtig?

Dr. Heiko Zentgraf

„Für Wohlbefinden und Fitness im Alltag ist gesunde Ernährung ein Schlüsselfaktor. In der heutigen Angebotsvielfalt von Lebensmitteln kommt es dabei auf eine geschickte Auswahl an. Es geht darum, die täglichen Mahlzeiten nach dem Motto „Gesundheit mit Geschmack“ zu gestalten. Und dafür sind Lebensmittel aus Getreide die ideale Grundlage: Denn ein wesentlicher Beitrag zur Versorgung mit Nährstoffen und Ballaststoffen stammt hierzulande aus den „Korn-Kraftwerken“ Weizen und Roggen. Die Mahlerzeugnisse aus diesen beiden „Brotgetreidearten“ liefern nicht nur Nährstoffvielfalt, sondern sind auch die Basis für die weltweit einzigartige Brotvielfalt in Deutschland.“

Sie erwähnten gerade die Nährstoffvielfalt in Mehl und Brot – welche Nährstoffe sind dies und was bewirken sie im Körper?

Heiko Zentgraf

„Gemeint sind damit insbesondere die Mikronährstoffe, zu denen Vitamine und Mineralstoffe zählen. Sie erfüllen vielfältige Aufgaben bei physischen und mentalen Stoffwechselfunktionen und sind für Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden unentbehrlich. Backwaren aus unseren hochwertigen Mehlen und Schroten sind gute Lieferanten für Vitamine der B-Gruppe, besonders zu nennen ist das „Nervenvitamin“ Thiamin. Darüber hinaus liefern Getreide, Mehl und Brot zahlreiche Mineralstoffe, wie zum Beispiel Kalium und Magnesium, die gerade für fitnessbewusste Menschen oder Freizeitsportler wichtig sind. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum wir als Verzehrsportionen – parallel zu Obst und Gemüse – auch für Getreideprodukte die Maßgabe „Fünfmal am Tag“ empfehlen.“

Sie sprachen vorhin von Ballaststoffen, was genau steckt dahinter und zu welcher „Nährstoffgruppe“ gehören sie?

Dr. Heiko Zentgraf

„Ballaststoffe sind, wissenschaftlich streng genommen, keine Nährstoffe. Sie sind jedoch nach unserem heutigen Wissensstand für eine gesunde Ernährung unverzichtbar. Auch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass sie vorbeugend hilfreiche Schutzfunktionen gegen Erkrankungen wie z.B. Darmentzündungen, Darmkrebs oder Hämorriden haben. Sie fungieren sozusagen als präventiver „Wellnessfaktor“.

Das gilt übrigens für praktisch alle Brot- und Kleingebäcksorten in Deutschland – auch für die von einigen selbsternannten „Experten“ zu Unrecht als „leere Kalorien“ gescholtenen Brötchen, Schrippen oder Semmeln. Niemand will oder wird in Abrede stellen, dass Vollkornprodukte (bezogen auf die darin enthaltenen Mikronährstoffe) die höchste Nährstoffdichte unter allen Getreideerzeugnissen aufweisen. Aber selbst wenn man ausschließlich – und das ist ein eher theoretischer Fall – nur Backwaren aus Weizenmehl der Type 550 essen würde, deckt dies bei den getreidetypischen Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen 20 bis 30 Prozent des empfohlenen Nähstoffbedarfs ab.“

Nährstoffe im Brot

Immer wieder steht der Inhaltsstoff Gluten in der Kritik. Was ist Gluten eigentlich?

Dr. Heiko Zentgraf

„Mit Gluten bezeichnet man den Teil der Speicherproteine verschiedener Getreidearten, der bäckerisch auch als Klebereiweiß bekannt und geschätzt ist. Weizen enthält besonders viele dieser Proteine. Deshalb hat Weizenmehl die einzigartige Fähigkeit, beim Anteigen mit Wasser ein elastisch-dehnbares Eiweißgitter zu bilden, das dafür sorgt, dass der Teig besonders gut zu kneten und zu backen ist.“

Und für wen ist Gluten schädlich?

Dr. Heiko Zentgraf

„Wenn Weizen nicht vertragen wird, kann das schwerwiegende medizinische Gründe haben. Wird ärztlich eine Zöliakie, Nahrungsmittelallergie oder Glutensensitivität diagnostiziert, was nach Expertenschätzung bei etwa fünf Prozent der Bevölkerung zutreffen könnte, dann ist eine glutenfreie Diät als Therapie medizinisch notwendig und angeraten. Als Ernährungsempfehlung für die Allgemeinbevölkerung bringt eine glutenfreie Ernährung hingegen kaum gesundheitliche Vorteile, sondern ist im Gegenteil mit Blick auf die ausgewogene Nährstoffversorgung eher nachteilig. Für rund 95 Prozent der Deutschen gilt somit, dass sie alle ihre gewohnten und liebgewonnenen Lebensmittel aus glutenhaltigen Getreidearten ruhigen Gewissens genießen können.“

Was bedeutet „Zöliakie“ und was sind die Anzeichen?

Dr. Heiko Zentgraf

„Bei der Zöliakie handelt es sich um eine immunvermittelte, chronische Darmerkrankung. Die Darmschleimhaut wird geschädigt durch bestimmte Eiweiß-Stoffwechselprodukte von Gluten. Diese entstehen im Zuge der Verdauung, werden über die Darmwand aufgenommen und aktivieren hier das Immunsystem.“

Welche Lebensmittel müssen Menschen, die unter Zöliakie leiden, meiden?

Dr. Heiko Zentgraf

„Glutenhaltig sind alle Lebensmittel aus Weizen und seinen botanischen Verwandten, also auch Hartweizen (Durum) oder den sogenannten „Urgetreiden“ Einkorn, Emmer, Khorasanweizen und Dinkel bzw. Grünkern. Ebenso ist Gluten in den Getreidearten Roggen, Gerste, und Triticale als Kreuzung aus Weizen und Roggen enthalten. Nach deutschem und europäischem Lebensmittelrecht gehört auch Hafer dazu, wenngleich Haferprodukte von einem Teil der Betroffenen vertragen werden.

Glutenfrei sind die Getreidearten Mais, Reis, Hirse und Buchweizen sowie die Pseudocerealien Amaranth und Quinoa. Bei weiterverarbeiteten Produkten, wie zum Beispiel Reiswaffeln oder Cornflakes (aus Mais) sollten sich Betroffene jeweils anhand der Zutatenliste vergewissern, dass die Rezeptur keine glutenhaltigen Getreideerzeugnisse enthält. Weitere Informationen für Betroffene findet man bei der Deutschen Zöliakie Gesellschaft www.dzg-online.de.

Brot und Brötchen sind also trotz Gluten & Co. besser als ihr Ruf und liefern neben Ballaststoffen auch viele wichtige Mineralien und Vitamine – trotzdem werden sie in vielen Schlankheitsdiäten einfach pauschal aus dem Speiseplan gestrichen. Für alle Brotliebhaber da draußen stellen wir die Frage aller Fragen: Wie passt Brot in einen Diätplan?

Dr. Heiko Zentgraf

„Zum sinnvollen und auf Dauer erfolgreichen Abspecken sollte man sich an dem orientieren, was auch für die alltägliche Kost richtig ist. „Low Carb“-Wunderdiäten, Fatburner oder Appetitzügler helfen dabei nicht weiter – und selbst der vor einiger Zeit vielzitierte „Glyx“ (Glykämischer Index) macht allein weder glücklich noch schlank. Auch bei einer Schlankheitskost spielen Ballaststoffe eine zentrale Rolle. Denn „Ballast“ hört sich zwar schwergewichtig an, macht aber das Abnehmen leichter. Mit den Ballaststoffen sind die weitgehend unverdaulichen Bestandteile in der Nahrung gemeint, die aus pflanzlichen Lebensmitteln bei uns auf dem Teller kommen. In unseren Breitengraden setzen diese sich hauptsächlich aus Brotgetreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse zusammen. Zum Schlankwerden und -bleiben sind beispielsweise roggenhaltige Brot- und Brötchensorten besonders geeignet, denn sie enthalten reichlich Ballaststoffe, die der Körper energetisch praktisch kaum verwerten kann. Darum liefert eine ballaststoffreiche Diät bei gleich großen Portionen deutlich weniger Kalorien. Das wirkt zudem auch als optische Appetitbremse: Mahlzeiten mit einem hohen Anteil ballaststoffreicher Lebensmittel sehen auf dem Teller nach „mehr“ aus.“

Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf

Aufbauend auf einem Konzept des Instituts für Ernährungswissenschaft an der Universität Gießen hat die GMF ein Konzept für gesundes Abnehmen mit Getreide, Mehl und Brot entwickelt. Wissenschaftlich-praktische Tests haben bewiesen, dass eine stetige Gewichtsabnahme von durchschnittlich ein bis zwei Kilo pro Woche erwartet werden kann – ohne gesundheitliche Risiken und mit Aussicht auf bleibenden Erfolg. Aktuelle Rezepte dazu aus einem Forschungsprojekt der GMF mit der Hochschule Niederrhein gibt es unter www.brotdiaet.de.

Der Artikel "Mit Brot gut drauf!" erschien am 25.9.2015 auf www.innungsbaecker.de.

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