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Am Anfang war das Korn

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Die Geschichte der Brotkultur erzählt von Mythen, vom Glauben, von Schweiß und Tränen, von Macht und Ohnmacht. Sie erzählt die wesentlichen Geschichten der Menschheit. „Welches andere Lebensmittel gibt es in vergleichbarer Vielfalt und mit einer solchen Geschichte? Man überlege sich nur, welche Freude, welchen Schmerz und welchen Aufruhr die schlichte Vereinigung von Mehl, Wasser und Salz auslösen kann“, schreibt die Amerikanerin Susan Seligson in ihrem Buch „Brot. Eine Kulturgeschichte für Leib und Seele.“

Eine lange Geschichte des Brotes

Die Geschichte beginnt vor 10.000 Jahren, als die Menschen anfangen, Gerste, Roggen, Weizen, Hafer, Hirse und Dinkel zu kultivieren. Um an den Mehlkörper im Korn zu gelangen, zerreiben sie die Körner zwischen zwei Steinen und setzen das gewonnene Mehl mit Wasser zu einem Brei an, den sie auf einem heißem Stein erhärten lassen – der Fladen ist entdeckt. Die Entwicklung geht weiter: Jemand streicht übrig gebliebenen, an der Luft vergorenen Brei auf einen heißen Stein und stülpt ein Gefäß darüber. Die Hitze kann nicht gleich entweichen, der Teig geht auf, es bildet sich eine Kruste – das erste Brot der Menschheit ist entstanden. Bis heute weiß niemand, wann und wo genau dieser mystische Moment stattgefunden hat. Doch er muss länger als 6.000 Jahre her sein. Im alten Ägypten gehört Brot bereits zu den Grundnahrungsmitteln.

Von der Heimarbeit zur Großproduktion – ein Handwerk im stetigen Wandel

Die Brotesser, wie die Ägypter damals auch genannt wurden, entwickeln die ersten Drehmühlen und Backöfen. Damit es auch im Jenseits täglich frisches Brot gibt, statten sie die Gräber der Wohlhabenden mit Miniaturbäckereien aus. Eine der ältesten stammt aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus. 

„Während meiner Herrschaft hat der Nil das Land sieben Jahre lang nicht überflutet. Das Korn ist knapp und die Nahrung fehlt. Die Vorratskammern sind ausgeräumt und leer. Alles ist zu Ende.“ Zu diesem Schluss kam der ägyptische Pharao Amenophis III. um 1300 vor Christus. Ohne Brot kein Leben. 

Nach den Ägyptern perfektionieren vor allem die Römer die Kunst des Brotbackens. Sie bauen die ersten großen Mühlen und erfinden eine Vorrichtung zum Teigkneten. In einem Trog werden große Rührhölzer mit Hilfe von Ochsen oder Sklaven bewegt. Außerdem sind sie die ersten, die geschlossen Backräume entwickeln. Sie merken, dass sich auf dem Brotlaib eine stärkere Kruste bildet, wenn die Hitze länger erhalten bleibt und nur langsam entweicht. Die Kruste hilft gegen Schimmel und macht das Brot länger haltbar. 

Eine römische Großbäckerei konnte schon vor 2.000 Jahren 36.000 Kilo Brot am Tag backen. Deutlich langsamer geht es bei den germanischen Stämmen voran. Bis zum Mittelalter versorgt sich hier jede Familie selbst, es gibt weder Bäcker noch Maschinen, die die schwere körperliche Arbeit erleichtern. Während die Männer das Getreide säen und ernten kümmern sich die Frauen ums Backen. 

Erst im 12. Jahrhundert, mit Beginn der Städtebildung, entsteht der Beruf des Bäckers. Früh schon schließen sich die Berufsstände in den Städten zu Zünften und Innungen zusammen und entwickeln feste Regeln für ihr Handwerk. Wer diese nicht einhält, etwa weil er minderwertige Zutaten wie Sand einsetzt oder bei der Größe des Brotlaibs schummelt, muss mit Strafen rechnen. Noch heute findet man an einigen städtischen Kirchen einen ausgesparten Stein, der das Maß für einen gelungenen Laib Brot vorgibt.

Das Brot und die Politik – ein Nahrungsmittel mit Macht

„Dennoch waren Bäcker besonders angesehene Bürger. Viele engagierten sich neben ihrem Beruf in der Stadtverwaltung und bei der Entwicklung des Sozialwesens. Das konnten sie, weil ihr Tagwerk schon gegen 11.00 Uhr am Morgen endete“, sagt Dr. Andrea Fadani, der das Museum für Brotkultur in Ulm leitet. Für ihn ist die Geschichte des Brotes vor allem eine politische. Hunger war oft eine Waffe und Mittel zur Unterdrückung in unzähligen Kriegen. 

Brot war aber auch in anderer Hinsicht schon immer mehr als ein Lebensmittel, bis heute hat es religiöse Bedeutung. Juden sprechen den Sabbatsegen über dem Brot und meiden beim Passahfest gesäuertes Brot. Christen feiern in der Eucharistie das Abendmahl, bei dem Jesus ein Stück ungesäuertes Brot nahm und seinen Jüngern sagte, dieses Brot sei zu seinem Leib geworden. Moslems und Hindus halten es für gotteslästerlich, Brot mit dem Messer zu schneiden. Bis Ende des 19. Jahrhunderts aß die deutsche Landbevölkerung überwiegend Roggenvollkornbrot. Helles Weizenbrot war Luxus und blieb den reichen Schichten vorbehalten.

Eine lebendige Kultur rund um ein Grundnahrungsmittel

Als sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt Berufsbäcker in den Dörfern ansiedelten, rückte die Landbevölkerung immer mehr davon ab, selber Brot zu backen. Technische Entwicklungen wie moderne Öfen und Teigknetmaschinen beschleunigten diesen Trend. 

Im Zweiten Weltkrieg wurde Brot knapp – wieder einmal. Die Not war so groß, dass die Behörden in einigen Regionen sogar den Verkauf von frisch gebackenem Brot untersagten, damit die Bürger nicht zu viel davon aßen. Erst nach einem Tag Wartezeit durften Bäcker ihre Brote weitergeben. 

Heute gibt es Brot im Überfluss. Der größte Teil des Angebots stammt aus Großbäckereien, die am Tag bis zu eine Million Brötchen und Brezeln backen. Computergesteuerte Backöfen, Brötchenstraßen und Bäckerkälte machen es möglich. Der Brotvielfalt tut das keinen Abbruch, im Gegenteil. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks listet heute 3.050 anerkannte Brotspezialitäten auf – Tendenz steigend.

Autorin: Irmhild Speck

Weitere Infos zur Brotgeschichte:

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