Warum Brot gesünder ist, als manche denken
Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf im Interview
Manche Vorurteile über Gluten, Weizen und Brot halten sich hartnäckig. Ernährungswissenschaftler Dr. Heiko Zentgraf erklärt, dass Brot aus Weizen und Co. neben Ballaststoffen auch wichtige Mineralien und Vitamine liefert. Dr. Heiko Zentgraf ist Dipl.-Trophologe und war lange Geschäftsführer der GMF Vereinigung Getreide, Markt- und Ernährungsforschung in Bonn.

Herr Dr. Zentgraf, weshalb sind Getreideprodukte für unser Wohlbefinden wichtig?
Dr. Zentgraf: Für Wohlbefinden und Fitness im Alltag ist gesunde Ernährung ein Schlüsselfaktor. In der heutigen Angebotsvielfalt von Lebensmitteln kommt es dabei auf eine geschickte Auswahl an. Es geht darum, die täglichen Mahlzeiten nach dem Motto „Gesundheit mit Geschmack“ zu gestalten. Und dafür sind Lebensmittel aus Getreide die ideale Grundlage: Denn ein wesentlicher Beitrag zur Versorgung mit Nährstoffen und Ballaststoffen stammt hierzulande aus den „Korn-Kraftwerken“ Weizen und Roggen. Die Mahlerzeugnisse aus diesen beiden „Brotgetreidearten“ liefern nicht nur Nährstoffvielfalt, sondern sind auch die Basis für die weltweit einzigartige Brotvielfalt in Deutschland.
Was sind die wichtigsten Nährstoffe in Brot und Weizen? Was bewirken sie im Körper?
Dr. Zentgraf: Gemeint sind damit insbesondere die Mikronährstoffe, zu denen Vitamine und Mineralstoffe zählen. Sie erfüllen vielfältige Aufgaben bei physischen und mentalen Stoffwechselfunktionen und sind für Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden unentbehrlich. Backwaren aus unseren hochwertigen Mehlen und Schroten sind gute Lieferanten für Vitamine der B-Gruppe, besonders zu nennen ist das „Nervenvitamin“ Thiamin. Darüber hinaus liefern Getreide, Mehl und Brot zahlreiche Mineralstoffe, wie zum Beispiel Kalium und Magnesium, die gerade für fitnessbewusste Menschen oder Freizeitsportler wichtig sind. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum wir als Verzehrsportionen – parallel zu Obst und Gemüse – auch für Getreideprodukte die Maßgabe „Fünfmal am Tag“ empfehlen.

Stichwort Ballaststoffe, was genau steckt dahinter und zu welcher Nährstoffgruppe gehören sie?
Dr. Zentgraf: Ballaststoffe sind, wissenschaftlich strenggenommen, keine Nährstoffe. Sie sind jedoch nach unserem heutigen Wissensstand für eine gesunde Ernährung unverzichtbar. Auch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass sie vorbeugend hilfreiche Schutzfunktionen gegen Erkrankungen wie z.B. Darmentzündungen, Darmkrebs oder Hämorriden haben. Sie fungieren sozusagen als präventiver „Wellnessfaktor“. Das gilt übrigens für praktisch alle Brot- und Kleingebäcksorten in Deutschland – auch für die von einigen selbsternannten „Experten“ zu Unrecht als „leere Kalorien“ gescholtenen Brötchen, Schrippen oder Semmeln. Niemand will oder wird in Abrede stellen, dass Vollkornprodukte (bezogen auf die darin enthaltenen Mikronährstoffe) die höchste Nährstoffdichte unter allen Getreideerzeugnissen aufweisen. Aber selbst wenn man ausschließlich – und das ist ein eher theoretischer Fall – nur Backwaren aus Weizenmehl der Type 550 essen würde, deckt dies bei den getreidetypischen Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen 20 bis 30 Prozent des empfohlenen Nähstoffbedarfs ab.
Immer wieder steht Gluten in der Kritik. Was ist Gluten eigentlich?
Dr. Zentgraf: Mit Gluten bezeichnet man den Teil der Speicherproteine verschiedener Getreidearten, der bäckerisch auch als Klebereiweiß bekannt und geschätzt ist. Weizen enthält besonders viele dieser Proteine. Deshalb hat Weizenmehl die einzigartige Fähigkeit, beim Anteigen mit Wasser ein elastisch-dehnbares Eiweißgitter zu bilden, das dafür sorgt, dass der Teig besonders gut zu kneten und zu backen ist.

Für wen ist Gluten ein Problem?
Dr. Zentgraf: Wenn Weizen nicht vertragen wird, kann das schwerwiegende medizinische Gründe haben. Wird ärztlich eine Zöliakie, Nahrungsmittelallergie oder Glutensensitivität diagnostiziert, was nach Expertenschätzung bei etwa fünf Prozent der Bevölkerung zutreffen könnte, dann ist eine glutenfreie Diät als Therapie medizinisch notwendig und angeraten. Als Ernährungsempfehlung für die Allgemeinbevölkerung bringt eine glutenfreie Ernährung hingegen kaum gesundheitliche Vorteile, sondern ist im Gegenteil mit Blick auf die ausgewogene Nährstoffversorgung eher nachteilig. Für rund 95 Prozent der Deutschen gilt somit, dass sie alle ihre gewohnten und liebgewonnenen Lebensmittel aus glutenhaltigen Getreidearten ruhigen Gewissens genießen können.
Was bedeutet „Zöliakie“ und was sind die Anzeichen?
Dr. Zentgraf: Bei der Zöliakie handelt es sich um eine immunvermittelte, chronische Darmerkrankung. Die Darmschleimhaut wird geschädigt durch bestimmte Eiweiß-Stoffwechselprodukte von Gluten. Diese entstehen im Zuge der Verdauung, werden über die Darmwand aufgenommen und aktivieren hier das Immunsystem.
Welche Lebensmittel müssen Menschen mit Zöliakie meiden?
Dr. Zentgraf: Glutenhaltig sind alle Lebensmittel aus Weizen und seinen botanischen Verwandten, also auch Hartweizen (Durum) oder den sogenannten „Urgetreiden“ Einkorn, Emmer, Khorasanweizen und Dinkel bzw. Grünkern. Ebenso ist Gluten in den Getreidearten Roggen, Gerste, und Triticale als Kreuzung aus Weizen und Roggen enthalten. Nach deutschem und europäischem Lebensmittelrecht gehört auch Hafer dazu, wenngleich Haferprodukte von einem Teil der Betroffenen vertragen werden. Glutenfrei sind die Getreidearten Mais, Reis, Hirse und Buchweizen sowie die Pseudocerealien Amaranth und Quinoa. Bei weiterverarbeiteten Produkten, wie zum Beispiel Reiswaffeln oder Cornflakes (aus Mais) sollten sich Betroffene jeweils anhand der Zutatenliste vergewissern, dass die Rezeptur keine glutenhaltigen Getreideerzeugnisse enthält. Weitere Informationen für Betroffene findet man bei der Deutschen Zöliakie Gesellschaft unter www.dzg-online.de.

Für alle Brotliebhaber: Wie passt Brot in einen Diätplan?
Dr. Zentgraf: Zum sinnvollen und auf Dauer erfolgreichen Abspecken sollte man sich an dem orientieren, was auch für die alltägliche Kost richtig ist. „Low Carb“-Wunderdiäten, Fatburner oder Appetitzügler helfen dabei nicht weiter – und selbst der vor einiger Zeit vielzitierte „Glyx“ (Glykämischer Index) macht allein weder glücklich noch schlank. Auch bei einer Schlankheitskost spielen Ballaststoffe eine zentrale Rolle. Denn „Ballast“ hört sich zwar schwergewichtig an, macht aber das Abnehmen leichter. Mit den Ballaststoffen sind die weitgehend unverdaulichen Bestandteile in der Nahrung gemeint, die aus pflanzlichen Lebensmitteln bei uns auf dem Teller kommen. In unseren Breitengraden setzen diese sich hauptsächlich aus Brotgetreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse zusammen. Zum Schlankwerden und -bleiben sind beispielsweise roggenhaltige Brot- und Brötchensorten besonders geeignet, denn sie enthalten reichlich Ballaststoffe, die der Körper energetisch praktisch kaum verwerten kann. Darum liefert eine ballaststoffreiche Diät bei gleich großen Portionen deutlich weniger Kalorien. Das wirkt zudem auch als optische Appetitbremse: Mahlzeiten mit einem hohen Anteil ballaststoffreicher Lebensmittel sehen auf dem Teller nach „mehr“ aus.
Vielen Dank!